Meine nicht alltägliche Begegnung mit Frau Rosengart – jene, die von Picasso gemalt wurde.
Es ist vielleicht ein Jahr her, da sah ich einen Bericht über die Schweizer Kunsthändlerin Angela Rosengart. Und ich erinnere mich als sei es gestern, dass mich neben ihrem Lebensweg vor allem die Ausstrahlung dieser Frau beeindruckte. Ihr verschmitztes Lächeln, ihre Anmut, ihre wachen Augen… Und mir kam sofort der Gedanke, dass ich diese Frau gern fotografieren würde und weiss nun, dass ich nicht der einzige bin, der von ihr auf eine besondere Art fasziniert ist. Allein Pablo Picasso fertigte fünf Porträts von ihr…
Geboren 1932 stieg sie bereits seit dem zarten Alter von 16 Jahren in den Kunsthandel ihres Vaters Siegfried Rosengart ein und lernte in der Folge Maler und Kunstschaffende kennen, die man schlicht und einfach als das große „Who is Who“ der internationalen Kunstszene bezeichnen würde. Neben Pablo Picasso, pflegte sie enge Kontakte zu Künstlern wie Marc Chagall oder Henri Matisse.
Heute ist sie die Vorsitzende ihrer selbst ins Leben gerufenen Rosengart-Stiftung in Luzern und stellt dort ihre ehemals private Sammlung aus eindrucksvollen Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen bekannter Künstler wie Picasso, Klee, Kandinsky, Renoir oder Matisse aus.
Auf meinem Weg durch die Schweiz im vergangenen Monat bekam ich die Möglichkeit, diese wunderbare Frau kennenzulernen und besuchte sie in Luzern in ihrer Rosengart-Stiftung. Frau Rosengart empfing mich mit ihrem unvergleichlichen Lächeln im Foyer und wir setzten uns direkt vor drei riesige Picasso Gemälde und unterhielten uns.
Liebe Frau Rosengart, sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich mich auf unseren Termin heute gefreut habe.
Ach wirklich? Das freut mich!
Ja, ich komme mir ja fast vor wie ein Fanboy, der ein „Meet and Greet“ gewonnen hat.
Danke, Danke, wie kommt das?
Ach da gibt es viele Aspekte. Einer davon wäre, eine Frau zu fotografieren, die von Picasso gemalt wurde…
Sie wollen mich fotografieren? Herrje, darauf bin ich gar nicht eingestellt.
Ach keine Sorge, das merken sie gar nicht… Ich würde mich gern mit ihnen erst mal unterhalten.
Na dann, nur zu…
Wie kommt man im zarten Alter von 16 Jahren auf die Idee, Kunsthändlerin zu werden?
(lacht) Ach, das war gar nicht meine Idee. Mein Vater hatte sich beim Ski fahren das Bein gebrochen und sagte zu mir: Du hast jetzt deine Schule fertig, jetzt kommst du zu mir und hilfst. Ich war zuerst etwas widerwillig, dann habe ich aber sehr rasch gemerkt wie anregend dieser Beruf ist. Ich wollte dann gar nicht anderes mehr machen.
Kunstsammlerin klingt für mich jetzt nicht nach einem Beruf, eher nach einer Berufung…
Oh doch. Ich musste die Maler und ihre Arbeiten studieren. Mein Vater ist mit mir in alle großen Museen gegangen und wir haben uns andere Sammlungen angeschaut. Ich erinnere mich, dass mir mein Vater einen ganzen Stapel Bücher auf den Tisch packte, die ich zu lesen hatte – die Geschichte der Malerei von der Prä-Historie bis zur Moderne. Ich musste mit ihm Rahmen aussuchen, habe gelernt, wie man ein Bild kleidet, wie man eine Ausstellung hängt, wie man einen Katalog gestaltet, ein Plakat entwirft, wie man mit Sammlern umgeht – egal ob Käufer oder Verkäufer – sogar Kisten packen habe ich gelernt…
… wobei Ich mir vorstellen kann, dass die schwierigste Aufgabe wahrscheinlich darin vor allem darin besteht, Kunst zu erkennen und zu wissen, was sich verkauft…
Das erste, was mir mein Vater eingeschärft hat, war, dass man die Bilder so aussuchen muss, als wären sie für einen selbst. So ist eigentlich diese Sammlung entstanden. Hier finden sie die Bilder, die ich irgendwann nie wieder hergeben wollte. Die Verkaufbarkeit eines Werkes stand bei uns nie im Mittelpunkt…
Oh das finde ich gut. Meine erste Regel in der Fotografie lautet, fotografiere so, als würdest du nur für dich fotografieren.
Ja, das ist eine gute Einstellung! Der Beruf des Kunsthändlers macht nur dann Sinn, wenn man ihn mit dem Herzen ausübt und liebt, was man tut. Aber das trifft eigentlich auch auf alle anderen Berufe zu. Herz und Leidenschaft…
…Apropos Herz. Wie war das eigentlich damals, als sie Picasso zum ersten mal gegenüberstanden? Rutschte ihnen selbiges damals denn nicht sofort in die Hose?
(lacht) Oh ja, ich kann mich noch genau an meine erste Begegnung mit Picasso erinnern. Mein Vater stellte uns einander vor und war ich so eingeschüchtert, dass ich kein Wort rausgebracht habe. Aber Picasso war ein wirklich lieber Kerl und hat das Eis recht schnell gebrochen… Er war immer für einen Spaß zu haben. Ich habe oben einen ganzen Schwung Fotos von David Douglas Duncan, der während seiner ersten Begegnung, Picasso fotografiert hat. Picasso saß gerade in der Wanne, als Duncan zur Tür reinkam und hat sich von ihm darin auch gleich fotografieren lassen…
Oh das klingt interessant. Sie haben hier auch eine Fotoausstellung?
Ja, ich habe etwa 200 Fotos von David Douglas Duncan, die er von Picasso gemacht hat – wir können gern nachher nach oben gehen und sie uns anschauen. Ich zeige hier in der Ausstellung immer nur ca. 40 davon – das ist das einzige, was hier in der Ausstellung immer wechselt… Kommen sie…
Frau Rosengart erhebt sich und wir schlendern durch die Ausstellung…
Wissen sie, mein Vater lernte Picasso kennen, als er noch ein junger Künstler war. Danach folgten noch Matisse viele andere Maler dieser Zeit und überall hat sich dann auch eine Freundschaft entwickelt. Wir waren viel unterwegs und haben Künstler besucht und Bilder ausgesucht. Bei einer solchen Reise sind wir Picasso in Vallauris eher zufällig in die Hände gelaufen. Er war eigentlich gerade mit seinen Töpferarbeiten beschäftigt. Picasso war gut aufgelegt und plötzlich schaut er mich an und sagte: Kommens sie doch morgen bitte zu mir, ich möchte ein Porträt von ihnen machen. Gott, was war ich aufgeregt. Picasso machte dann ein sehr liebevolles Porträt von mir und schenkte es mir anschliessend…
Ach bezaubernd! Haben sie selbst eigentlich auch mal versucht zu malen?
Gott bewahre… wenn man von solchen Meisterwerken umgeben ist…
Sie haben doch im Laufe der Jahre mit Sicherheit ein gutes Gespür dafür entwickelt, welche Art von Bildern sich besonders gut verkauften. Haben sie es als Kunsthändlerin nicht wenigstens in Erwägung gezogen, Picasso mal einen klitzekleinen Hinweis zu geben, welches Sujet sich am schnellsten verkauft?
Bitte!? Wir reden über Picasso! Für einen Künstler ist es – genau wie für uns Kunstsammler – sehr wichtig, seine Sprache zu finden, alles andere führt zu Beliebigkeit. Sowas würde mir nie im Traum einfallen. Aus einem Künstler, den man einengt, kommt nichts gescheites raus. Wissen Sie, das faszinierende an Picasso war ja gerade, das er so vieles ausprobiert hat. Er hat immer wieder neues gesucht. Picasso war damals ja fast ein Synonym für etwas völlig verrücktes.
… und das verrückte ist – das das ja bis heute so geblieben ist. Informieren sie sich eigentlich noch über die heutige Kunstszene?
Naja, ich informiere mich noch, aber so richtig will mein Herz den aktuellen Künstlern nicht folgen. Ich habe seit Jahren niemanden mehr gesehen, der mich so überzeugt hat, wie Picasso seinerzeit.
Was glauben sie woran das liegt?
Giacometti sagte zu meinen Vater mal: Was sollen wir jungen Künstler eigentlich noch machen, man hat uns ja alles schon vorweg genommen. Und es wird im Laufe der Zeit ja wirklich nicht einfacher, noch wirklich was neues zu malen, was es noch nicht gab. Ich war kürzlich im Centre Pompidou und habe mir die Maler des 21. Jahrhunderts angesehen…
Irgendwie kam mir der Gedanke, die sollten nicht gestalten, die sollten besser schreiben was sie bewegt. Man sieht dort riesige Installationen, bei denen ich mir denke, das hätte man mit ein paar Sätzen auch erzählen können.
Aber wenn ich mir die Summen so ansehe, die für Kunst ausgegeben werden, scheint es doch für die Kunsthändler immer noch ganz gut zu laufen. Allein in der Fotografie, wo Millionenbeträge für aktuelle Künstler wie Peter Lik oder Andreas Gursky ausgegeben werden…
Ach wissen sie, das ist das Traurigste was es überhaupt gibt. Kunst verkommt zum Anlageobjekt. Ich verstehe die Summen am Markt überhaupt nicht mehr. Es geht nur noch um Spekulation und nicht mehr um Kunst. Ich habe das 1989 schon mal erlebt. Da gab es einen Boom und 1990 ging es dann schon wieder runter. Da sind dann plötzlich die Japaner weggefallen, die 1989 sehr hohe Summen in Kunst investierten. Die japanische Wirtschaft brach damals ein, die Japaner kauften nicht mehr und so gaben die Preise auf dem Kunstmarkt in Europa plötzlich deutlich nach. Ich habe 1991 Bilder auf Auktionen gesehen – für ein Drittel des Preises… Die Kunst in der Kunst ist es, durchzuhalten.
Oh das stimmt. Vor allem Künstlerisch…
…vor allem künstlerisch! Schauen sie doch mal mal einen Paul Klee an. Klee hatte einen sehr guten Namen damals in Deutschland und die Nazis hatten den Ruf völlig zerstört. Mein Vater hat 1945 eine Klee-Ausstellung gemacht – zum 5. Todestag – da musste man Klee wie einen jungen Künstler erst wieder aufbauen. Man hatte ihn fast völlig vergessen. Bei dieser Ausstellung hat man die schönsten Klee-Aquarelle für 1000 Franken gekauft, für die man heute Unsummen auf den Tisch legen müsste…
Wir bleiben vor einem „wilden Picasso“ stehen, der meine Aufmerksamkeit sucht.
Mögen Sie das? (fragt Frau Rosengart)
Ja, sehr. Vielleicht lachen sie jetzt, aber ich versuche oft gar nicht zu ergründen, was mir der Maler sagen will, sondern achte eher darauf, ob mich ein Gefühl beim Betrachten erreicht. Ich kenne Bilder, bei denen ich erst viele Jahre später erkannt habe, was sie darstellen sollen.… aber auch nur, weil ich dann den Titel gelesen habe…
(lacht)… dann machen sie alles richtig! Kommen sie, hier geht es zu den Fotos von Duncan…
Es sind eine Menge wirklich wunderbarer Alltagsfotos von Picasso zu sehen. Auch jede Menge Fotos von Picasso mit seinem Dackel…
Oh, ich mag den Dackel!
Wussten sie, dass der Dackel eigentlich Duncan gehörte? Aber er hat sich so in Picasso verliebt, dass er nicht mehr weg wollte. Und Duncan musste seinen geliebten Hund dann Picasso überlassen. Aber der Dackel hatte es gut bei Picasso. Er hat ihm sogar ein Fressnapf bemalt…
Haha, was für eine Geschichte… Picasso scheint auf den Fotos ein wirklich ein lustiger Kerl zu sein… er wirkt so uneitel…
Oh er wusste schon um seine Wirkung… aber man hatte nie das Gefühl bei ihm, das er sich irgendwie präsentierte… Wirklich wichtige Personen machen so etwas auch nicht, nur die, die es nötig haben… Picasso war sehr unprätentiös.
Kann man denn bei soviel Nähe und Frohsinn überhaupt noch normal verhandeln oder läuft man nicht Gefahr, einen schlechten Deal zu machen?
Ich bitte sie! Mit einem Picasso verhandelte man nicht! Die Verkäufe liefen ja auch immer über Kahnweiler – er hat sich dann um die Abwicklung gekümmert. Uns war der Preis eigentlich gleich. Uns war wichtig, das wir die erste Wahl hatten – im Atelier von Picasso. Aus der Quelle zu schöpfen – darum hing es uns.
Ich stelle mir das so unwirklich vor, sich ein paar Picassos auszusuchen… und dann auch noch in seinem Atelier. Auf der anderen Seite muss es doch auch für einen Maler schwierig sein, sich von seinen Werken zu trennen, oder?
Oh, ja das war es. Es fiel Picasso nicht immer leicht, sich von seinen Bildern zu trennen. Er hat sein Signet erst unter das Bild gesetzt, wenn es verkauft werden sollte. Für ihn war es jedes mal so etwas wie „die Nabelschnur durchzuschneiden“. Und teilweise hat er das Signet auch noch Tage nachdem wir etwas ausgesucht hatten hinausgeschoben.
…achso!?
Alle Bilder in seinem Atelier waren unsigniert und erst in dem Moment, wenn es verkauft werden sollte, wurde es signiert. Er schützte sich dadurch. Es war eine Art Versicherung für ihn. Wenn etwas unsigniertes auf dem Markt auftauchte, war das ein Zeichen dafür, das etwas damit nicht stimmen konnte…
Sehen, sie, da habe ich wieder was gelernt…
Wir sind mittlerweile in den Räumen mit Bildern von Chagall angelangt…
Mochten Sie Chagall auch?
Ja, sehr! Chagall war wie ein Schmetterling – er kam mir damals vor, als wäre er irgendwie nicht so ganz von dieser Welt wenn man mit ihm gesprochen hat… Ich habe hier sogar seine Farbpalette von ihm hängen. Er hatte sie meinem Vater geschenkt…
Ach…
Ja, wir waren bei ihm zu Besuch und er malte gerade. Er sagte zu uns: Ich weiss nicht was ich machen soll… Ist das Bild fertig? Und mein Vater hat sich das Bild angeschaut, Chagall bei den Schultern gepackt und gesagt: Bitte hören sie sofort auf! Das Bild ist fertig und wenn sie auch nur einen Pinselstrich hinzufügen, könnten sie es verderben. Chagall drückte daraufhin meinem Vater dann die Palette in die Hand und bedankte sich.
Sie können sich gar nicht vorstellen, wie unwirklich das gerade für mich ist. Hätte man mir vor zwei Jahren erzählt, dass wir beide hier in Luzern vor einer Palette von Marc Chagall stehen und plaudern… ich könnte mit ihnen hier stundenlang herumlaufen und ihren Geschichten zuhören…
…die Freude ist ganz auf meiner Seite.
Sie schmeicheln!
Nein.
Dann darf ich sie noch fotografieren?
(lächelt)…
***
Die Zeit flog dahin und ich klebte an ihren Lippen und lauschte den Geschichten über Matisse, Kandinsky und Klee. Und als ich mich nach zwei Stunden von ihr verabschiedete, erlaubte sie mir doch noch ein Foto von ihr zu machen. Draußen am Eingang. Und da war es wieder dieses Lächeln…
Die Rosengart-Sammlung in Luzern ist täglich geöffnet und unbedingt (wenigstens) einen Besuch wert. Sie war ursprünglich die private Kunstsammlung von Vater Siegfried und Tochter Angela Rosengart. Die Sammlung besteht aus weit über 300 Werken von 23 verschiedenen Künstlern. Es sind Werke einer subjektiven Auswahl, welche die Vorliebe der Sammler widerspiegeln und „mit dem Herzen erwählt“ wurden.