24
Feb
2010
0

Störrische Russin: Kiev-4

Meine verehrten Leser wissen, dass ich ein großer Freund alter Kameras und analoger Fotografie bin. Ich lerne dabei mehr über Fotografie, als ich es auf digitalem Weg getan habe. Außerdem ist das analoge Fotografien mittlerweile ein Stück weit Meditation für mich…  Der überaus geschätzte Jim Rakete hat in etwa einmal gesagt: „Mit einer analogen Kamera kannst Du die Welt 36 mal anhalten. Mit einer digitalen beschleunigst du sie.“ Ich sehe das genau so und deshalb schnappe ich mir in der e-Bucht immer mal wieder ein altes Schätzchen und belichte einen Film.

Eine meiner letzten Auktionserfolge war eine Kiev-4eine Messsucher Kamera aus den 1960er Jahren. Diese Kamera ist ein weitgehend exakter Nachbau der Contax II und III von Zeiss Ikon. Die russische Manufaktur „Zavod-“ oder „Kiev- Arsenal gab damals (in den 60er und 70er Jahren) keinen Pfifferling auf  Patentrecht und Musterschutz und so wurde kopiert was das Zeug hält. Das Ergebnis waren unter anderem die Kiev-4, aber auch der von vielen geschätzte Nachbau der Hasselblad 500 als Kiev88.

Die Kiev-4 / Contax II gefiel mir vom ersten Moment. Ich mag das Design dieser Kamera außerordentlich und deshalb war mir fast egal, ob sie gute Bilder macht. Außerdem ist eine gebrauchte Kiev-4 in der Bucht schon ab  39 € zu haben, insofern wäre ein totaler Reinfall auch finanziell zu verschmerzen. Für eine gut erhaltene Contax II hingegen, blättert man immer noch 200 € auf den Tisch.

Die Kiev-4 wurde mit einem sehr lichtstarken und wechselbaren Helios 103 53mm/1.8 Objektiv verbaut. Die Zeiten reichen von B (Bulb – Dauerbelichtung) bis 1/1250. Ich hab mal mit der Stoppuhr die „langen Zeiten“ gestoppt – die können sich immer noch sehen lassen! Nach fast 50 Jahren eine beachtliche Leistung! Die Kamera ist kein Leichtgewicht. Man hat schon das Gefühl anständig-russischen Stahl in der Hand zu halten.

Kommen wir zur Handhabung. Ich kann nicht behaupten, dass das Fotografieren mit der hübschen Russin von Anfang an ein großer Spaß war. Die Sucheröffnung ist klein (etwa 1/3 einer normalen Sucheröffnung heutiger Kameras) und mit dem Fokussieren über das Messsucher typische Mischbild muss man sich ebenfalls erst anfreunden. Die Messsucher-Öffnung ist blöderweise auch noch so platziert, dass man beim Fokussieren auch gern mal den Finger davor hat und gar kein Mischbild mehr sieht, was dazu führt, dass man das Fokussieren auch gern mal vergisst. Fokussiert wird kurioserweise über ein Rädchen auf der Oberseite der Kamera, was ziemlich umständlich ist und so greift man beherzt mit der Hand zum Objektiv, was dazu führt, dass man nun die Sucheröffnung mit der Hand verdeckt und nur noch das Messsucher-Bild sieht. Nun ja – auch daran gewöhnt man sich. Hat man sich mit dieser Handhabung vertraut gemacht, stört als nächstes der skurrile „on Board“ Belichtungsmesser (der an meiner Kiev funktioniert noch!), der nur mit höherer Mathematik zur  richtigen Belichtung führt. Da greife ich doch lieber gleich zum Sixtino

Das Einlegen des Films ist eine der nächsten zu überwindenden Hürden, den das schmale Ende handelsüblicher Filme ist immer noch zu breit für den Schlitz im Spoon. Also Schere rausgeholt und nachgeholfen. Passt! Der Spoon eiert und wackelt in der rechten Kammer, daß einem Himmel Angst und Bange wird. Im Netz fand ich den überaus hilfreichen Hinweis, einfach die Oberseite einer alten Filmpatrone auf den Spoon anzukleben um dem ganzen zu mehr Stabilität zu verhelfen. Gelesen, getan, passt super! Nun aber! Der Film sollte straff aufgezogen sein, damit Filmtransport und Bildabstand über 36 Bilder hält… Also am Rückspulknopf drehen und Film spannen. Was passiert, wenn man den Film nicht strafft und den Spoon nicht „Updated“ kann man hier sehen:

Den Filmtransport bei der Kiev-4 kann man nur als absolut chaotisch bezeichnen. Beachtet man jedoch die Handhabung (straffen, etc) ist es halb so schlimm! 36er Filme bleiben gern mal hängen und ziehen Kratzer, deshalb habe ich mich mittlerweile auf max. 24er Filme beschränkt.

Das man die Rück-Klappe zum Filmeinlegen nicht einfach öffnet sondern etwas umständlich an der Unterseite „aufschraubt“ hatte ich erwähnt, oder? Nein? Jetzt wisst Ihr es!

Geschafft! Los gehts. Nun wird fotografiert. Der Messsucher vermiest beim Fotografieren natürlich etwas die Stimmung, weil man im Sucher kein wie bei DSLR-typisches Tiefen-un-scharfes Bild sieht. So braucht man etwas Phantasie und Erfahrung um sich die Bild-Komposition im Kopf vorzustellen. Eine Tiefenschärfe-Skala am Objektiv zeigt jedoch recht zuverlässig, wie es um die Tiefenschärfe bestellt ist. Die Zeiten müssen zwingend vor dem Weitertransport des Filmes eingestellt werden. Der Rest ist reine Übung…

Warum tut man sich das Ganze nun an? Weil das Ergebnis ein ganz Wunderbares ist! Die knackscharf bis-cremigsanften Bilder der Kiev-4 sind einfach der Hammer. Man hat das Gefühl ins Bild rein kriechen zu können.Ich hatte von Anfang an das Gefühl, daß die Bilder bei dieser Kamera irgendwie „pastelliger“ und samtweicher sind. Mir hat mal irgendwer erzählt, dass die Russen damals kein sauberes weisses Quarz bei ihren Objektiven verwendet haben, was zu eben diesem Effekt führt. Ich hab keine Ahnung ob das stimmt, aber ich habe am vergangenen Wochenende mal die Probe aufs Exempel gemacht und mit meiner Pentax MZ-50 und einem Asahi SMC 1,7 Objektiv mit identischem Film (Imation100) „Gegenshots“ gemacht. Und bitte – liebe Profis: Ich weis, das ist ein ungleicher Kampf und wie immer nicht zu vergleichen, aber ich wollte es wissen:

Im direkten Vergleich fällt der charmante Gelbschimmer auf…

Sollte man sich das Ungetüm nun antun? Ich persönlich liebe die Kiste! Trotz aller Unwägbarkeiten habe ich hier ein Stück Ingenieurskunst in der Hand, dessen Ergebnisse mich glücklich machen. Im Vergleich zu 10 mal teureren Linsen können die Bilder bei einem Anschaffungspreis von 39 € bei ebay absolut mithalten! Die Kiev-4 ist sicherlich keine Schnappschuss-Kamera. Jedes Bild will vorbereitet sein und mit bedacht ausgeführt werden. Und ja, anfangs will sie erobert werden – eine Lady halt…

In jedem Fall habe ich bei Ihr das Gefühl, die Welt mit jedem Bild anhalten zu können…

You may also like

Cinephonie Noir
Inside Vietnam | Nebel
Interview mit Andreas Chudowski

9 Responses

  1. Mario

    Vielen Dank für die ausführliche Darstellung!
    Ich habe eine kurze Frage zur Verschlusszeit: Du schreibst „Die Zeiten müssen zwingend vor dem Weitertransport des Filmes eingestellt werden.“
    Ich habe hier in Kirgistan eine Киев 4 gekauft. Der Verkäufer, der sich offenbar mit sowjetischen Kameras auskennt, hat mir empfohlen, zuerst den Film zu transportieren und dann die Verschlusszeit einzustellen. Das Einstellen der Verschlusszeit nach dem Filmtransport läuft, wenn ich hin zu längeren Zeiten, d.h. im Uhrzeigersinn drehe, allerdings sehr schwerfällig und ich habe immer Angst, irgendetwas könnte brechen. Ist das eine Besonderheit der Kiev 4?

    Beste Grüße

  2. Pingback : Der Stilpirat » Im Instax Rausch (die Zweite)

  3. Fritz Mühleninsel

    Vor dem Lesen dieser Hommage habe ich Nr. 4 bei ebay gekauft. 1. ich wollte eine ohne Beli, und 2. wegen des Helios 103. Eine erstklassige Linse und messerscharf. Die Jupiter 8 verwende ich vorrangig für Portraits, gerne open. Ja, und dann sind noch die anderen Objektive zu erwähnen, die mir den Kiev-Rausch beschert haben. Das WW 2,8/35 und das oberhammergeile 2/85!!! Nun ringe ich schon lange mit mir, ob das Jupiter 3 1,5/50 noch her muß. Da sind aber schon mal 150 E locker zu machen.

  4. Waldi

    Die haben nicht nur kopiert. Man sagt ja, dass die Kollegen das ganze Werk mitgenommen hatten, da ja Zeiss damals vorwiegend im Osten seine Produktionsstätten hatte. Aber vielen Dank für den Bericht.Werde mir zu meiner FED und Zorka jetzt noch eine Kiev hinstellen :).

  5. Hatte meine geute bekommen. Das Problem mit der Spule hatte ich nicht, es war bämlich einfach keine davei. Da ich allerdings boch einenHaufen Spulen aus den EXAs hatte, habe ich einfach eine davon genommen. Da muss man allerdings ca. 0.5cm an der Grünen Fassung absägen dann passt die wunderbar 🙂
    „Störrisch“ kann ich absolut bestätigen, Zeiten einstellen ist übrigens erst nach dem Spannen statt davor. Hier ist ebenfalls zu beachten vorsichtshalber in richtung kurze Zeiten zu drehen damit der „eiserne Vorhang“ 😀 auch wirklich einrastet um dann die wunschzeit einzustellen. Den Beli kannst du easy testen mein lieber. Roct ist die DIN/Asa einfach auf den Pfeil stellen und solange am linken Zeitenrad drehen bis der Pfeil auf den Diamant zeigt. 🙂

    Hab mir das Ding übrigens nach deinem Artikel zugelegt 🙂

  6. „Die russische Manufaktur “Zavod-” oder “Kiev- Arsenal gab damals …keinen Pfifferling auf Patentrecht und Musterschutz und so wurde kopiert was das Zeug hält“.

    Tatsache ist, dass von den Allierten alle Deutsche Reichspatente für ungültig erklärt wurden. Das mag man als ungerecht empfinden, aber es beschert uns heute eine wunderbare Auswahl historischer Messucherkameras. Die Russen kopierten nur vor dem Krieg illegal.

  7. Pingback : FED3 – die russische Schönheit und die Ästhetik der Fehler | Der Stilpirat

  8. Das nenn´ich mal eine Hommage…

    Mit den Russenzicken hab ich ja auch so meine Erfahrungen gesammelt und jetzt weiß ich wenigstens, wer mich in der Bucht ausgestochen hat 😉