Good Morning Hanoi
Es gibt Tage, aus denen könnte man zwei machen. Und aus Zwei manchmal auch Vier. In den 20 Stunden Flug hierher kaum geschlafen, bin ich seit nunmehr 35 Stunden in Hanoi und habe mein Gefühl für Zeit verloren. Hanoi empfing mich am Gepäckband, zu lange wartend, müde und am Ende ohne Hoffnung, mit meinem Koffer gemeinsam weiter zu reisen. Er sei irgendwo in Peking hieß es, er komme vielleicht morgen oder übermorgen, man solle warten…
Die Flughafentür öffnet sich für mich gegen erst 22 Uhr und Hanoi empfängt mich mit Regen, Nebel und Koriander-Duft. Mein Abholservice längst über alle Berge, steige ich in das viel zu teuere Taxi zur Adresse, die mir meine Couchsurfing-Gastfamilie zukommen lies. Hanoi in der Nacht ist seltsam dunkel und ruhig. Das Taxi setzt mich vor einer Gasse im „Old Quarter“ aus. Sie ist für das Taxi zu schmal und für ängstliche Menschen zu dunkel. Ich irre im Schein meiner iPhone-Videoleuchte durch eine gefühlt 1,50m breite Gasse mit Gittertüren links und rechts. Entmutigt rufe irgendwann mit letztem Strich im Ladebalken die Nummer meiner Gastfamilie an und man lotst mich 100 Meter weiter zu einem weiss gestrichenen Gitter. Hui. Ich weiss nicht. Aber eigentlich wollte ich es ja so. Kein Scheiss-Hotel mit Wohlfühl-Programm, sondern echte Vietnamesische Wohnkultur. Ich bin drauf und dran meinen Plan zu verwerfen, während ich warte, bis der Hausherr die 23 Vorhängeschlösser im Inneren öffnet. Ach Scheiss drauf! Wird schon! Ich hab noch keinen Vietnamesen gesehen, der größer ist als ich und mein Gewicht hält sich vehement im dreistelligen Bereich. Im Zweifel lass ich mich einfach auf ihn drauffallen.
Es öffnet „Mike“ – der ältere Bruder. Er spricht gut englisch, zeigt mir mein Zimmer und borgt mir sein Ladekabel. Er macht einen netten Eindruck. Es sind noch 3 Italiener im Zimmer nebenan. Ich solle mich nicht daran stören. Kein Problem! So müde wie ich bin, würde ich mich in einem Schlafsaal des Hauptbahnhofes wohlfühlen.. Ich schlafe wie ein Stein auf einer brettharten Matratze.
Als ich wieder aufwache ist es bereits 10 Uhr. Eine ältere Frau sitzt auf einer alten Couch neben 2 aufgebockten Mopeds im Wohnzimmer und schaut fern. Ich grüsse und bekomme ein Lächeln zurück. Sonst ist niemand da, also mache ich mich auf den Weg nach draussen. Es regnet immer noch.
Ich kämpfe mich durch klammen Nebel und tausende Mopeds und versuche Hanoi zu erkunden. Mein Stadtführer-Buch liegt im Koffer, der wahrscheinlich noch in Peking seine Runden dreht. Ich laufe einfach „mit dem Verkehr“ und nehme auf, was ich sehe. Der Sozialismus hier ist durchaus noch zu erkennen, wenn auch lang nicht mehr so präsent. Meinen Weg kreuzen unzählige Uniformierte und wenn ich ehrlich bin: So richtig offenherzig ist der Hanoier nicht, aber vielleicht drückt dem Vietnamesen das regnerische Wetter auch nur auf´s Gemüt.
Ich beginne meine ungeputzten Zähne und die 3 Tage alten Socken an meinen Füssen zu hassen. Meine Klamotten sind klamm und meine Schuhe reiben irgendwo am kleinen Zeh. Ich will hier raus! Wenn mein Koffer heute Abend nicht kommt, werd ich im wahrsten Sinne „zur Sau“. Gottseidank treffe ich Heiko – einen deutschen Aussteiger, der hier seit 7 Jahren lebt und mich zum Kaffee in sein kleines, aber sehr schickes Hotel (http://viethouse.org/de/) mitten im Zentrum einlädt. Das Hotel hat 1 Zimmer pro Etage und ist 10 Stockwerke hoch. Wir stehen auf dem Dach hoch oben über Hanoi und schauen über die Dächer. Heiko baut mich mit seiner herzlichen Art auf und nach dem dritten Kaffee verabreden wir uns für morgen. Ein gutes Gefühl…
Es wird langsam dunkel und ich trotte zum Quartier zurück. Mittlerweile hat Mike auch die Couch im Wohnzimmer an einen durchreisenden Vietnamesen „vermietet“ und fragt mich, ob ich morgen weiterreise. Ich lege mich müde und immer noch ohne Koffer ins Bett und schreibe diese Blogpost als gegen 0 Uhr das Telefon klingelt. Mein Koffer ist da!!!!! Ich könnte heulen!! Noch nie hab ich meine Zahnbürste so geliebt, noch nie ein paar frische Socken so innig angeschaut! Danke Schicksal! Das Glück hat mich wieder! Morgen wechsele ich die Gast-Familie. Alles wird gut!