20 Onkels und Tanten im Mekong Delta und eine Liebeserklärung
Manchmal wache ich hier auf und es fühlt sich an, als träumte ich noch. Mit verschlafenen Augen tappele ich – das Handtuch über der Schulter – ins Bad. Onkel Tu steht vor dem Hausaltar im ersten Stock und zündet Weihrauchstäbchen an und die Mädchen liegen zu Dritt im Bett unter ihrem Moskitonetz und winken mir kichernd zu. Tante Dung wünscht mir freundlich einen Guten Morgen und das Dienstmädchen bereitet, bereits adrett gekleidet, die Körbe für den Einkauf im Markt vor. Sie hätte meine Shirts noch gewaschen. Wow! Danke!! Aus der Dusche läuft kaltes Wasser – bei morgendlichen 26 Grad ist das völlig ok. Heute heisst es nun Abschied nehmen von dieser ganz wunderbaren Familie. Ich packe meine Sachen und stehe 20 Minuten später frisch geduscht und abfahrbereit im unteren Foyer.
Mein Taxi wartet bereits vor dem Eingang und Onkel Tu lässt Tante Yen übersetzen, was er zu sagen hat. Seine Augen leuchten dabei. Sie hätten sich sehr gefreut, dass ich sie besucht hätte und für mich und meine Heimreise gebetet und gute Wünsche ausgesprochen. Ich könne jederzeit wiederkommen und Gast bei ihnen sein. Die Mädchen stehen rührselig im Kreis, während ich seine Hand mit meinen beiden Händen umschliesse und mich verbeuge. Es war mir eine große Ehre hier zu sein, stammele ich. Mein Englisch verlässt mich gerade bei dem was ihm ich gern zu sagen hätte. Als wildfremder Deutscher wurde ich hier eine Woche aufgenommen, wie ein verlorenes Familienmitglied. Wiedermal überwältigt, wiedermal sprachlos wiedermal den Tränen nahe. Wir drücken uns und ich steige ins Taxi. Mit welcher Selbstverständlichkeit ich hier als Freund eines Freundes bewirtet wurde, ohne irgendeine Gegenleistung zu erwarten, ist eines der Dinge, die mich hier in Vietnam immer wieder beeindrucken und die ich hoffentlich noch lange mit mir tragen werde. Meine letzte Station führt uns ins Mekong Delta nach My Tho City. Dort werde ich im Hause eines Familienmitglieds erwartet. So langsam steige ich nicht mehr durch, wer hier wessen Onkel, Nichte oder Tante ist. Egal! Auch hier werde ich mit weit geöffneten Armen aufgenommen und bekomme ein eigenes Zimmer, während sich der Rest der Familie die Betten teilt.
My Tho City würde ich als Bilderbuch-Mekong-Delta Stadt beschreiben. Sieht genau so aus, wie man es auch Büchern und Bildbänden kennt. Der Mekong versorgt die Stadt mit Fisch und Einkommen und es ist verdammt heiß hier (35°C). Diese Gegend kennt eigentlich nur diese Temperatur wird mir erklärt. Im Sommer regnet es für 1-2 Monate und im Winter ist es trocken. Die „über 30°C“ sind allerdings fast ganzjährig zu erwarten. Eines fällt mir jedoch sofort auf: Die „Mekong-Deltaner“ sind wesentlich relaxter als der Rest der Republik. Sie freuen sich über den blonden Touristen, haben ihm allerdings nichts zu verkaufen. Sie sind – wie überall in Vietnam – unglaublich freundlich und trinken viel 🙂
Ich werde am nächsten Morgen mit in die Heimatstadt „Großvaters-Familie“ väterlicherseits mitgenommen. Irgendein Fest steht an, bei dem der Toten gedacht wird und die Gräber gesäubert werden (die übrigens hier gleich neben dem Haus stehen). Wir fahren in die „Ben Tre Provinz“ und besuchen irgendeinen Onkel. Im Grunde wohnen etwa 18-20 Onkels in der Strasse, denn wir laufen von Haus zu Haus und kriegen überall irgendeine kleine Aufmerksamkeit. Ich lasse mir – wie überall – übers Haar streichen und man bewundert meine blauen Augen. Ein kleiner Junge hat etwas Angst vor mir, weil er noch nie eine „Langnase“ in echt gesehen hat, aber irgendwann hab ich auch ihn erreicht. Ich hab noch nie soviel Früchte, Bier, Tee, Kaffee, Kokosnusssaft und Bananenpralinen innerhalb zweier Stunde gegessen, aber auch noch nie, eine solche Gastfreundschaft und Herzlichkeit geballt auf einen Haufen erleb und nach diversen Besuchen diverser Tanten und Onkels, erreichen wir eine Familie, die offenbar gerade für alle gekocht hat und mir werden wiederum zwei Hand voll Onkels und Tanten vorgestellt. Und nun ist kein Entkommen! Der Tisch ist zum Bersten voll mit allerlei ekligen Leckereien und das Bier fliesst in Strömen. Ich muss auf alle Verwandten trinken und lerne auf vietnamesisch bis „3“ zu zählen (habe aber schon wieder vergessen). Wer später kommt und eher geht – so wird mir erklärt – muss 7 Bier trinken. Also junger deutscher Freund: Gib Gas! Mein letzter Tag in diesem wunderbaren Land bricht an und die Wehmut lässt mich im Trubel des Gelages am „Onkel-Tisch“ innehalten und den Moment geniessen. Ich würde am liebsten aufstehen und alle nacheinander drücken. Wahrscheinlich würde ich nicht mal verwirrte Gesichter ernten. Was soll ich sagen? Chapeau Vietnam! Ich hab mich in dich verknallt.
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