7
Jul
2011
4

Die Urlaubskanone im Schnelltest: Nikkor 28-300/3,5-5,6 G

Der einzige Nachteil eines Festbrennweiten-Fetischisten wie mir ist, dass hat man oft genug die „falsche“ Brennweite im Beutel trägt. Wie sagt man so schön: „Turnschuh-Zoom“? Nun ja, Brennweite hat für mich nichts mit Turnschuhen oder „Wegen“ zu tun, sondern vor allem mit „Perspektive“. Und – Gott was liebe ich offene Blende! Ein Objektiv, dass f3,5 Eingangsblende und ausgefahren bis f5,6 schliesst, würde mir nie in den Sinn kommen! Nunja, wie haben wir gestern so schön im  Nikonianspodcast formuliert? „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“. Übersetzt: Man darf seine Meinung ändern – wär ja sonst echt schlimm!

Ich will ehrlich sein: Oft genug nervt mich mein Nikkor 24-70/2,8 deshalb, weil mir die entscheidenden 15mm fehlen um während einer Hochzeits-Reportage (beim Empfang etc.) die entscheidende Distanz zu wahren. Meist schnall ich mir dann das 85er drauf und „sammle Gesichter“. Bis – ja bis sich die Braut mit ihrem Patenonkel in den Weg stellt und ein schnelles Portrait verlangt. 85er runter – 35er rauf… Drops gelutscht… 35runter…85 rauf… Ach, dahinten zeigt der Bräutigam stolz seinen Ring? Ich pirsch mich heran, werde bemerkt… Situation im Arsch. Meist hol ich dann aus lauter Verzweiflung mein 80-200 aus dem Sack und geh auf Beobachtungsstation, bis die Braut mit Ihrem zweiten Patenonkel vor mir steht…

Ich könnte unendlich viele Storys (vor allem aus dem Urlaub) davon erzählen, wie oft ich mir ein „Universal-Zoom“ gewünscht habe. Eines, dass vom Weitwinkel bis in den Telebereich geht… eine Urlaubskanone, ein Reportagezoom, ein Schnellretter… Immer mal wieder schielte ich deshalb auf das Nikkor 28-300 /3,5-5,6 G, doch war ich mir nicht sicher, ob der Blendenbereich meinen Ansprüchen genügen würde. Umso glücklicher war ich, dass mir der Nikon Profi Service über die Nikonians eins zur Verfügung stellten. Und weil man auf einem Bein nicht stehen kann, gesellte sich das Nikkor 24-120/f4 dazu.

Ok, ich muss sagen: ich bin verwöhnt, bestens ausgestattet und meine Ansprüche an ein Objektiv sind möglicherweise höher als das bei anderen der Fall ist. Deshalb war ich wirklich skeptisch. Zumal das Objektiv bei etwa 800€ Strassenpreis nicht wirklich als „sauteuer“ zu bezeichnen ist. Verlangt von mir keine Ziegelsteinmauer-Testbilder oder ähnliches. Die Linse muss meinen eigenen Anforderungen genügen. Mein Workflow beinhaltet immer eine Nachbearbeitung in Lightroom – insofern kann ich mit einigen Makeln sogar ganz gut leben. Ein Universalzoom ist ein Korrekturwunderwerk mit Kompromissen… Also schauen wir mal:

Das Objektiv wird mit Samtbeutelchen und Sonnenblende geliefert. Bei der Verarbeitung kann ich keinen Unterschied zu meinem Nikkor 24-70 feststellen… Profi-Qualität… Am Objektiv selber kann man – wie üblich – zwischen Manuellem und manuell-/automatischem Fokus umschalten. Zwei weitere Schalter verraten, dass Nikon hier „mitgedacht hat“. Neben dem „VR- ON/OFF“ – der die Bildstabilisierung ein- oder ausschaltet, befindet sich ein weiterer Schalter „normal/active“ wo man offenbar den „Grad“ der Beanspruchung der Bildstabilisierung einstellt. Er verspricht bis zu 4 mal längere Belichtungszeiten. Ein Wert, den ich im ersten Test zumindest „gefühlt“ bestätigen kann.

Die Schärfe des Objektives
…ist über alle Brennweiten absolut ok. Ich würde es nicht als Rasierklingenscharf bezeichnen, es reicht jedoch, dass es ohne späteres Nachschärfen auskommt. Wie immer und überall, bringt das leichte Abblenden mehr Schärfe. Schärft man es in Lightroom oder Photoshop später etwas nach, ist es absolut TOP!

„Out of Cam“ | Brennweite: 300mm  | Blende: 5,6| Verschlusszeit: 1/500 | Nikon D3s

100% Vergrößerung

Randabschattung / Vignette
Sichtbar, aber nicht störend. Insgesamt wesentlich kleiner als bei manchen meiner Festbrennweiten bei offener Blende

 

„Out of Cam“ | Brennweite: 300mm  | Blende: 5,6 | Verschlusszeit: 1/1000 | Nikon D3s

Chromatische Aberrationen
…konnte ich bei den ersten 120 Bilder nicht feststellen! Ich hab teurere Linsen, die das nichts schaffen!

Verzeichnung
… Heia! Hier streckt die Linse im Weitwinkelbereich die Waffen. Es sind deutliche (!) Verzeichnungen zu sehen, die ich aber in Lightroom mit einem Knopfdruck zu 100% beseitigen konnte

Verzeichnung bei 28mm „out of Cam“ Brennweite: 28mm  | Blende: 4,0 | Verschlusszeit: 1/320 | Nikon D3s

Verzeichnung bei 28mm „in Lightroom korrigiert“

Bokeh
Wie oben bereits geschrieben „Ein Universalzoom ist ein Korrekturwunderwerk mit Kompromissen“. Ein butterweiches Bokeh wie bei meinen Festbrennweiten hab ich nicht erwartet. Das Universalzoom schlägt sich hier ganz brauchbar. Das Bokeh schmeichelt nicht, ist aber auch kein Weltuntergang. Ich finde es völlig ok…

„Out of Cam“ Brennweite: 300mm  | Blende: 5,6 | Verschlusszeit: 1/160 | Nikon D3s

Geschwindigkeit des Autofokus
Ich würde ihn – verglichen mit meinem Nikkor 24-70 ebenfalls als schnell, leise und präzise bezeichnen. Die Laufenten der Nachbarn, konnte es jedenfalls einfangen:

 

„Out of Cam“ Brennweite: 120mm  | Blende: 5,6 | Verschlusszeit: 1/1200 | Nikon D3s

Kontrast / Abbildung
Kein Überstrahlen heller Bildanteile. Der Kontrast ist weder matschig noch exorbitant, aber absolut ok!

Mein erstes Fazit:
Für 800€ Strassenpreis bekommt man ein ordentliches Stück Glas geboten, dass sich nicht verstecken muss. Im direkten (kurzen) Vergleich zum 24/120 f4 kann ich bei den mir wichtigen Merkmalen (Bokeh, Schärfe, Kontrast, Schnelligkeit) nur marginale Unterschiede feststellen. Für das Geld hab von 24mm bis 300mm alles abgedeckt und das bei einer soliden Qualität. Als Universalzoom für den Urlaub oder bei kurzen Reportage-Einsätzen ist es eine echte Empfehlung.

 

 

UPDATE (aus Gründen)

Ich arbeite mit zwei Gehäusen, allerdings geht mir das nach 14h auf den Rücken (bin ja schon alt)…
Ich setze das Zoom nur in bestimmten Situationen ein – niemals (!!!) während einer gesamten Hochzeitsreportage…
Wenn ich mir meine Lightroom-Statistik so anschaue, dann sehe ich, dass meine beiden Zooms (24-70 und 80-200) nur etwa 5-10% der Foto ausmachen… und wenn ich mir diese Fotos dann auch noch genauer ansehe, dann fällt mir auf, dass ich dabei geringe Schärfentiefe und wahnsinnig viel Licht in diesen speziellen Fällen nur eher selten brauche… deshalb denke ich, dass es was für mich wäre!

 

25 Responses

  1. Andreas

    Hi Steffen,

    danke für den Test ohne Ziegelsteine und Musterkarten!

    Hast du inzwischen eine Hochzeit mal nur mit dem 28-300 begleitet?
    Ich nehme für das Standesamt immer das Tamron 28-75 2,8, das dann aber bei allem was nach dem Standesamt kommt, eher zu kurz ist. So eine Hochzeit ohne Objektivwechsel wäre schon ein Traum 😉
    Wie schlägt sich das Teil im Bereich 30 – 70mm in der Praxis? Wäre es eine Option fürs Standesamt?

    Danke und Grüße
    Andreas

  2. Endlich mal ein Bericht, mit dem ich was anfangen kann ( Deine Ansprüche an einem Glaus scheinen ähnlich zu sein wie meine )….
    Auch ich denke sehr oft über ein Universal-Glas nach, das hat sich nun erledigt, ich werde mir dieses Teilchen zulegen ( Reportage-Fotografie )…….ich bin sehr gespannt…
    Herzlichen Dank

  3. Ich find ja mal gut, dass Du den „Festbrennweiten-Craze“ mal etwas relativierst.. 😀

    FBs schön und gut.. Offenblende schön und gut.. Bokeh schön und gut…

    Trotzdem: Manchmal ist halt die Situation da, und du musst mal eben entweder schnell ranzoomen ODER willst ganz schnell eine andere Perspektive. Ferner hat nicht jeder wie der Pro oder der Student/Rentner/Fotograf mit verständiger Ehefrau die Zeit und Muße, eine ganze Latte FBs mit sich zu schleppen und diese laufend zu wechseln.

    Insofern finde ich Zooms völlig berechtigt, leider ist das in der Vergangenheit etwas untergegangen. Es kommt halt immer auf die Situation und die persönlichen Umstände an.

    Die Mehrzahl meiner Bilder hab ich mit dem Sigma 17-70 am Crop gemacht (noch dem alten ohne Bildstabi, was ich auch nicht brauche da Bildstabi bei mir im Body sitzt).

    Das Ding ist, das kann ich nicht wegdiskutieren, meine „wertvollste“ Linse. Guter Brennweitenbereich, gute Nahbereichsfähigkeit (Pseudo-Macro).

    Ich habe auch FBs, bin mir manchmal aber nicht sicher, ob mein 17-70 in vielen Fällen den Job nicht fast gleich gut gemacht hätte, zumindest wenn es nicht um Offenblende oder dergleichen geht.

    Insofern breche ich eine Lanze für die Zooms. Sie haben ihre Berechtigung. Und das Argument „mit dem Zoom wählt man die Brennweite nicht mehr bewusst“.. nun, das ist eine Frage des Trainings und der Disziplin. Ich wähle oft VORHER die Brennweite aus und suche dann den passenden Aufnahmestandpunkt auf. Geht auch. Man muss nur wollen.

  4. Andreas

    Wenn dir 15 mm fehlen wär dann das 24-85 1:2,8-4 D IF doch das Optimale für dich?! Habs erst grad bei Amazon entdeckt.
    Oder ist das aus triftigen Gründen auszuschließen?

  5. Nutze das 18-200 seit einigen nahezu täglich und noch nie hat sich ein Redakteur oder ein Brautpaar über die Qualität der Bilder, die dieses Objektiv produziert, beschwert. Das 28-300 ist meiner Meinung nach sogar noch eine Idee schärfer und daher für den täglichen Einsatz absolut geeignet. Steht jedenfalls auf meiner Kaufliste.

  6. Was wiegt denn das 28-300 von Nikon? Das Canon Pendant kommt auf knapp 1,7kg, was (grad bei längerer Tragweise) sich doch extrem bemerkbar machen (kann).

  7. Danke für den Test und Deinen Bericht. Ich hatte bisher mit dem 24-120 geliebäugelt, um so eine Reisekombination (10-24 + 24-120 (+ 70-300)) zusammenzustellen, aus der ich dann vor das Objektiv für den Tag wählen kann.

    Hast Du (oder jemand, der Leser hier) eventuell einen Vergleich zum 70-300? Dann würde ich vielleicht sogar überlegen, dass durch ein Allroundzoom abzulösen ohne die 300mm einzubüßen.

  8. Hmmm

    Also ich hab sowoh das 28-300 als auch das 24-70 Zuhause. Meist bleibt das Telezoom im Schrank. Irgendwie eine langweilige Linse. Wenn ich die Bilder hier sehe sollte ich aber vielleicht mal öfters zugreifen.

    Gruß
    Freiheitenwelt

  9. Interessanter Artikel.
    Kleine Randbemerkung: normal/aktive beim VR hat nichts mit Dosieren der Bildstabilisierung zu tun. Normal ist, wenn du (Fotograf) stehst. Aktive ist, wenn du dich bewegst, also in einem Auto oder Flugzeug oder so sitzt.

  10. Keine Ahnung wie du es schaffst bei diesem Feldbild die Schärfe zu beurteilen? Denn die Halme sind auf viele Ebenen verteilt.
    Aber wie du schon sagtest, deine Anforderungen hat es somit erfüllt und dann passt es ja.

  11. Die Linse war meine erste, da ich keine Lust auf Objektivwechsel hatte (*hust* – das ist Jaaahre her!). Damals noch 600 Euro, darum tippe ich auf Vorgängermodell. Bin auch gut zufrieden damit, ok, Lichtstärke ist keine Stärke bei der, und ein Bokeh, das seinen Namen verdient, bekommt man auch nur bei gewissen Einstellungen (Abstände etc.). Trotzdem, als Allrounder und grad für Ausflüge klasse!

  12. Danke für den schnellen Test Steffen. Sprichst mir aus der Seele was das Objektiv geschraube betrifft. Ich denke für schnelle (außen) Reportagen und als Urlaubs/Reise Immerdrauf ist es wirklich ideal. Würde mich auch interessieren ob du es einsetzen wirst oder dann doch auf den Schwung mehr Bildqualität setzt.

  13. Obwohl ich mit Canon fotografiere, bin ich froh um diesen Testbericht. Oft werde ich nach solchen Objektiven gefragt und konnte es noch nie selber testen. Vielen Dank!

  14. Ronny D.

    Ich habe für die Hochzeit meines Bruders das 17-50 mm von Sigma benutzt. Ist ein schöner mm-Bereich für diesen Zweck. In Lightroom lasse ich immer als erstes die Objektivkorrektur drüber laufen. Danach fange ich an die Bilder durch zuabreiten. Ich muss mal Paddy fragen ob mann das nicht als Vorgabe aktivieren kann.

  15. Was du beschreibst kenne ich nur zu gut. Ich habe gehofft mit dem 24-70 würde es besser werden. Jedoch war das 24-70 nicht so recht etwas für mich.

    Dein Bericht vom 28-300 klingt sehr gut. Ob ich es auf einer Hochzeit einsetzen würde weiß ich nicht so recht – wirst du? Aber für den Urlaub klingt es perfekt 🙂

  16. Zu meinen DX-Zeiten habe ich sehr viel mit dem 18-200er fotografiert. Auch damit ließen sich problemlos Bilder machen, die vielerorts gedruckt wurden. Die weitläufige Meinung, dass man mit diesen Superzooms keine vernünftigen Fotos machen könnte, sind völliger Quatsch. Natürlich haben die ihre Schwächen, aber eben auch ihre Vorteile. Lichtstärke und Co ist nicht alles. Viel Spaß mit der Linse!

  17. Das 28-300 wurde ja schon vielfach von anderen prominenten Fotografen gelobt – von daher wundert mich Deine Beobachtung nicht.
    Zu Deiner Problematik des Objektivwechsels: Zweitkamera hilft 🙂
    Und VR active ist für Bildstabilisation bei bewegten Objekten – falls Du das mit „Grad“ meinst 😉