8
Sep
2010
9

Ein alter T-MAX 3200, ein Jahrmarkt im Dunkeln und das XTOL Experience

Gestern ist mir der verehrte Kollege Stefan Groenveld mit seiner Blogpost „Fotografieren ist schön“ ein wenig zuvorgekommen, denn seine beschriebene Situation trifft sich 1:1 mit meiner. Fast möchte man glauben, der Zug der fotografischen Selbstfindung hat sein Gleis gefunden und tuckert im endlosen Schienennetz von Bahnhof zu Bahnhof. Doch um genau dies zu verhindern hole ich immer mal wieder und gern meine alte F501 aus dem Schrank und mache Dinge die aus fotografischer Sicht ebenso sinnlos wie interessant sind.

Ich hab eine Kiste verschiedener alter abgelaufener Filme im Schrank aus der ich immer mal mit geschlossenen Augen einen heraus ziehe und überlege was ich damit anstelle. Bei der letzten „Film-Verlosung“ hielt ich einen alten Kodak T-Max 3200-36 Schwarz-Weiss-Film in der Hand. Dieser Film besticht zu gleichen Teilen durch seine hohe Empfindlichkeit (3.200 ISO) wie durch seine furchtbare Grobkörnigkeit – Digital Natives würden sagen „Sensorrauschen“. Eigentlich ist es aus heutiger Sicht totaler Quatsch so einen Film zu belichten, wenn man eine digitale Vollformatkamera wie meine Nikon D3s hat. Es sei denn, man hat mal Lust auf Bildern bei denen es „kracht im Gebälk“. Was stellt man also an mit solch einem Schatz?

Nun, ich hatte Lust das Ding mal auf dem Hamburger Dom auszuführen – dem größten Jahrmarkt Norddeutschlands. Was würde passieren, wenn man den bunten Lichtern an Buden, Karussellen und Riesenrad die Farbe entzieht? Um dieser Frage nachzugehen, spazierte ich mit Kollege Patn und meiner F501 kurz vor „Schicht im Schacht“ über den schon recht dünn besuchten Dom und nahm mit was ging.

Zu Hause stellte sich mir dann die Frage des Entwickelns. Einen so hoch empfindlichen Film hatte ich noch nie selbst entwickelt. Die Schwierigkeit war auch: Der Film war bereits ein paar Jahre abgelaufen… Normalerweise „verliert“ sich die Empfindlichkeit dann etwas… Egal! Ich hatte noch eine Tüte XTOL im Schrank. Einen Entwickler den ich auch noch nie probiert hatte. Man muß zwei Tüten mit unterschiedlichem Zeug in bestimmter Reihenfolge in 20° temperierten Wasser zusammenführen um 5 Liter Entwickler anzurühren. Nun hatte ich A) keinen 5 Liter Bottich und B) keine Lust auf so einen Haufen Entwickler… So löffelte ich „Pi-mal-Daumen“ das Zeug in wesentlich geringerer Menge zusammen und schaute was passiert… und wow: Was da aus der JOBO kam, war durchaus im Bereich eines „guten Ergebnisses“.

Gut, ich kann mir vorstellen, daß das entstandene Bildmaterial unter meiner verehrten Leserschaft nicht jedermanns Geschmack trifft. Für mich ist es im Wust glattgebügelter Digitalbilder ohne Fehl und Tadel recht wohltuend anzusehen und ebenso sinnlos wie interessant.

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12 Responses

  1. sediama

    schon allein für den spannenden Moment, als sich herausstellte, ob aus deinem Experiment etwas geworden ist, hat sich das ganze doch gelohnt, oder ?

  2. Pingback : Die Queen Mary II auf Ilford HP5 | Der Stilpirat

  3. Meine Herren, wenn ich soetwas lese komme wieder Erinnerungen an studenlange „Sitzungen“ in der (richtigen) Dunkelkammer hoch. Und die Ergebnisse hängen an der Wand und freuen mich immer noch. Wenn auch vieles umständlich war in der analogen Fotowelt im Gegensatz zur digitalen, man hat trotzdem viele schöne Dinge damit anstellen können.

  4. Ich habe noch nie irgendwas analog gemacht. Gehöre wohl zu den digital natives. Allerdings mag ich den Stil, die Rohheit und Authentizität dieser Fotos sehr. Mein Favorit ist das Riesenrad, ich mag aber auch robrahn perspektivisch sehr.

  5. Hi Steffen, ich mag deinen Stil sehr und auch die analogen Fotos gefallen mir ausgesprochen gut. Back to the roots eben. Muss nciht immer eine D3s sein. Da sieht man mal wieder, dass nicht vor Allem der Fotograf das foto macht, nicht nur die Kamera ! Sehr geil. Gruss Alex

  6. Vielleicht war es sogar einer meiner T-Max, die ich dir mitgebracht hatte … letztes Jahr im November zum KreativCamp 🙂 Man Steffen, da fällt mir auf … schon wieder so lang her. Ich ruf dich an. Hab einen guten Start in den Tag. Will an dieser Stelle mal kurz auftauchen und schreiben, dass ich deinen digitalen Spuren treu folge und ich mich freue, dass du das so durchziehst – großartig! Greeeeeeeetz aus Berlin, M

  7. Nobody’s perfect. Die perfekte, die makellose Schönheit, wie sie uns von Hochglanz-Fashionmagazinen vorgetäuscht wird, gibt es nicht. Und es sind doch die kleinen Makel, die wir alle haben, die dem ganzen die Menschlichkeit geben.

    Für mich funktioniert das auch bei Photographie. Sicher staune ich auch über perfekt gemachte und nachbearbeitete Aufnahmen, aber Photos wie die hier sind trotzdem noch ein Stück… näher, direkter.

    (Wow, das war ja jetzt schon fast philosophisch…)

  8. Die Zuckerwaren (letztes Bild) sind mein Favorit. Ich finde die Idee klasse und habe die alte Analoge von meinem Dad auch gleich mal mit einem s/w Film bestückt.