My Grand Tour of Switzerland (1)
„Ich habe nur noch ein Cabrio für Sie“, sagte der freundliche Herr am Schalter der Autovermietung und grinste… „Das Wetter soll ja auch besser werden…“ Ok, irgendwie meint es das Universum mit mir gut heute. Erst ein Upgrade auf die Business-Class (Platz 1A) und dann das hier…
„Hach, ich höre mich nicht nein sagen…“ entgegnete ich und ich sehe mich bereits ganz deutlich im offenen Wagen den „Lago Maggiore“ kreuzen, wohlwissend, dass ich mir wieder den Sonnenbrand meines Lebens holen würde (Ich bin ja eher so der Sonnencremeverweigerer). Der freundliche Herr am Schalter gibt mir den Schlüssel und ich mache mich auf den Weg.
So, nun bin ich also unterwegs auf der „Grand Tour of Switzerland“ – einer Route durch die schönsten Gegenden der Schweiz. Ich werde die nächsten 12 Tage auf gemütlichen Strassen unterwegs sein und atemberaubende Serpentinen entlang fahren, die gefühlt zu schmal für zwei Autos sind – über Bergpässe, kleinere und größere Seen, immer die Sonne im Blick und den Wind im Nacken…
Die Fahrt von Zürich nach Bad Ragaz um 6 Uhr früh entspannt die Seele und mich überkommt ein Gefühl des Verlassens meiner Stresszone. Und irgendwie wird mir auf dieser Fahrt klar, warum der Schweizer etwas „gemütlicher“ durchs Leben geht. Beim Anblick der Landschaft hier verbietet sich die Hast. Und ich nehme mir vor, mir etwas von diesem Gefühl in mein Lebens-Köfferchen zu packen. Von der Autobahn aus fehlt jeglicher Hinweis auf die Grand Tour of Switzerland und so halte ich an einer Raststätte und hänge wie früher über einer echten Landkarte und studiere die Abfahrten…
Die „Über-einer-Karte-grübeln“-Körperhaltung ist ja ein mächtiger Kommunikator (macht man viel zu wenig) und so gesellen sich auch bald ein paar Schweizer um mich, die mir helfen wollen. Und so bekomme ich auch gleich den ersten Tipp: Ich solle nach Klosters fahren und gleich in der früh eine Kutschfahrt beim Kutscher Flütsch machen. Nichts wäre schöner. Sind Kutschen nicht eher was für ältere Herrschaften? Ich bekomme keine Antwort… egal! Gesagt getan…
Dreißig Minuten später sitze ich in der Flütsch-Kutsche. Ich solle gern Christian sagen, sagt der Kutscher und pfeift seinen beiden Stuten zu. Los gehts. Klosters ist herrlich und voller Schweizer Klischees: Berge, Kühe, Ausblick… In vierter Generation seien sie nun schon auf dem Hof, die Kinder müssten auch mit anpacken… Und nicht ohne stolz weist er mich darauf hin, das Lady Di und Prinz Charles auch schon da gesessen hätten, wo ich gerade säße. Ja, zweimal habe er sie gefahren…Prinz Charles ist immer noch jedes Jahr in Klosters… die Königin von Schweden auch…
Ich geniesse die Landschaft und atme tief durch. Ich bediene mich des Stereotypen älteren Herren in einer Kutsche in den Bergen und es ist mir Wurscht! Nach einer viel zu kurzen Stunde ist die Fahrt auch schon vorbei und ich mache mich auf den Weg nach Davos…
Ich solle dem Beat Däscher einen Besuch abstatten, riet man mir – einem echten Schweizer Urgestein…
Beat empfängt mich auf der kleinen Strasse am Hang vor seinem über hundert Jahre altem Haus. Er wäre oben in der Stube zur Welt gekommen und seine neunzigjährige Mutter lebt auch noch mit hier. Seinem verschmitzten Blick kann man wirklich nicht widerstehen und ich würde am liebsten sofort die nächsten beiden Wochen hier bleiben. Er hätte da diese Ferienwohnung – oder wenn ich es einfacher mag – seine Alphütte oben auf dem Berg. Sie wäre zwar sehr einfach, aber der berühmte Maler und Fotograf Ernst Ludwig Kirchner hätte in dieser Hütte gelebt. Die Luft da oben sei wohl inspirierend. Ernst Ludwig Kirchner war Expressionist und malte gern „Nackerte“ – gern auch in freier Natur. Die Bauern wären damals in Scharen nach oben zum „spannen“ gekommen… ist aber schon lange her…
Ob ich Lust hätte, mir das mal anzusehen, fragt er und schon sitzen wir in seinem Auto und fahren einen sehr (!) schmalen Pass im Slalom zur Hütte. Ich hätte meiner Frau die Augen verbinden müssen, wenn sie dabei gewesen wäre. An einigen Stellen hatte sogar ich „Respekt“ vor den steil abfallenden Seiten… nichts für schwache Gemüter. Der Ausblick von oben entschädigt – aber so was von! Seine Hütte ist ein Traum für Aussteiger und ich kann Ernst Ludwig Kirchner in diesem Moment sehr verstehen 🙂 Ich würde am Liebsten sofort alles auspacken, mich für ein paar Wochen einquartieren und ein Buch schreiben… und zwar ein langes!
Ich mache mich dennoch auf den Weg zum Schweizer Nationalpark Engadin – ein Paradis für Wanderer, Vogelkundler und Tierbeobachter. In Zernez hole ich mir ein paar Informationen zum Park in einem nicht zu übersehenden Betonklotz – der Tourist-Information. Man zeigt mir verschiedene Wanderwege und erklärt mir die Philosophie des Parks. Man überlässt hier der Natur sich selbst. Fällt ein Baum um, bleibt er liegen. Es wird in den natürlichen Kreislauf nicht eingeschritten. Ich ärgere mich ein wenig, dass es schon so spät ist und wähle einen kleinen „halbstündigen“ Wanderweg. Vor einer kleinen Hütte setze ich mich auf eine Bank. Ich bin Mutterseelenallein und schon bald gesellt sich ein Biber in meine Nähe. Ich nenne ihn Snoopy. Snoopy und ich haben eine herrliche Zeit und wir geniessen den Sonnenuntergang… die Gedanken fliegen…
Ist so ein Cabrio nicht doch eher was für ältere Herren oder Mittzwanziger? Und überhaupt: die Schweiz? Ich bin ja eher so in der Mitte…
Und ich denke an den Slam von Julia Engelmann? „Eines Tages werden wir alt sein. Oh Baby, werden wir alt sein und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können…“
Ach, Scheiß auf Klischees!