Morgenmesse in Phát Diệm
Ich werde durch einen lauten Gong aus dem Schlaf gerissen. What the f***ist das laut??!? Mein Herz schlägt bis zum Hals. Mann hab ich mich erschreckt. Ich sitze aufrecht im Bett und mein Adrenalinpegel ist im roten Bereich. Immer wieder und wieder schlägt der Gong in langsamen Abständen und ich schaue auf die Uhr. Es ist Punkt 4 Uhr. Der Gong scheint aus der Kathedrale zu kommen, die etwa 200 Meter Luftlinie entfernt ist. Diverse Katzen jaulen ins Dunkle und seltsame Vögel krächzen. Alles ist so unwirklich. Ich öffne das Fenster, in der Hoffnung irgendwas zu sehen. Außer der noch schlafenden Stadt ist da aber nichts. Erst nach etwa 10 Minuten ist Schluss mit dem Lärm und ich falle ins Kissen zurück. 4 Uhr??? Was bitte… !!?
Unten auf der Strasse beginnt reges Treiben. Im Halbdunkel der Gassen schleichen dunkle Gestalten in Richtung Kathedrale. Ich werfe mir was über, schnappe die Kamera und will der Sache auf den Grund gehen. Ich reihe mich in den Fluss der Leute ein, die sich in Richtung Kathedrale bewegen. Bereits von weitem höre ich Gebetsgesänge und verlangsame den Schritt. Drei ältere Nonnen gehen an mir vorüber, lächeln mir zu und machen eine einladende Handbewegung. Ok, das war eindeutig. Zögerlich betrete ich die Kathedrale und setze mich auf eine der Bänke. Wow. Ich bin von diesem Moment ergriffen, gerührt und überwältigt. Ich bin Atheist, doch irgendwie den Tränen Nahe… Ein Chor, hoch oben auf der Empore singt so wunderschön, wie ich es in deutschen Kirchen noch nicht gehört habe. Der Pfarrer schwingt den rauchendenden Gebetstopf und etwa 150 Gläubige stehen in den Bankreihen, die Hände zum Gebet gefaltet. Hier findet sich, weitab der päpstlichen Hauptstadt, mitten in der vietnamesischen Provinz, an einem Montag Morgen um 4.30 Uhr mehr „Gott“ zusammen, als es sich manch deutscher Pfarrer zu träumen wagt. Ich hab das Gefühl, die halbe Kirche starrt mich an. Ein kleiner Junge zottelt seinem Vater aufgeregt am Hosenbund und zeigt auf mich. Ich grüsse lächend und nicke mit dem Kopf. Eine der drei Nonnen entdeckt mich nun auch und grüßt freundlich zurück. Sie blickt auf meine Kamera, schaut mich an und schliesst kurz die Augen. Ich werte das als Einverständnis und schiesse unauffällig ein paar Bilder. Obwohl ich kein Wort verstehe, setze ich mich zurück auf die Bank und lausche der Predigt. Nach 90 Minuten ist Schluss und obwohl die meisten Leute bereits gegangen sind, bleibe ich sitzen. Glücklich darüber, dabei gewesen zu sein, diese Reise unternommen zu haben und darüber, dass es das Schicksal so gut mir mir meint. Draussen wird es langsam hell und ich laufe etwas nachdenklich zurück zum Quartier. Mein Fahrer wartet bereits auf mich, wir müssen weiter, haben heute einen weiten Weg vor uns. Der Wagen quält sich durch staubige Schotterpisten, vorbei an Schulkindern mit roten Halstüchern. Den Kopf am Autofenster gelehnt, hänge ich meinen Gedanken nach. Verrückt das alles.
Wer den Gong mal hören will… Ich hab geistesgegenwärtig ein wenig Ton mitgeschnitten und außerdem auch noch ein wenig Ton-Atmosphäre in der Kathedrale aufgenommen: