Im Schlund des Wahnsinns
„In Mumbai kann man leicht sterben, niemals aber, keine einzige Sekunde lang, lässt sich in dieser energiegeladenen, alle Sinne überwältigenden Wahnsinnsstadt eines vergessen: dass man am Leben ist.“(aus „Die Kunst zu überleben„)
Nein, Mumbai lässt mich so schnell nichts vergessen. Nichts. Ich gab mir bereits in den ersten drei Tagen das volle Programm: Nass bis auf die Haut in den „Local Train“ gequetscht… in eine Ratte getreten… die halbe Nacht kotzend über dem Klo gehangen… in den Slums mit den Tränen gekämpft… bettelnde Kinder ohne Augen… bettelnde Kinder ohne Hände…bettelnde Kinder ohne Eltern…37.000 davon… Lärm… Dreck… Hitze…Gestank…Dauerregen… 1 Toilette auf eine 700 Menschen… 17 Millionen Menschen auf eine Stadt…nichts vergleichbares, nirgendwo auf der Welt… Willkommen im Schlund des Wahnsinns. Genau so habe ich mir Mumbai immer vorgestellt. Und ich wollte es so. So sieht es aus, wenn Dinge aus dem Ruder laufen.
Verzeiht, wenn ich diese Stadt auf einseitige Aspekte reduziere, es wird ihr wahrscheinlich nicht gerecht – ich seziere nur. Man kann in eine der klimatisierten Einkaufs-Malls fliehen, wenn es einem zuviel wird: Weiße Treppen, gängige Marken, gut gekleidete Menschen…hier läuft Lou Bega´s „Mambo Nr. 5“ und draußen wartet die Wirklichkeit. Mit Sicherheit wird man mich falsch verstehen, wenn ich von Mumbai berichte. Ich ich mag den Trubel, die Anarchie und vor allem die Menschen hier. Sehr sogar! Ich mag die Gelassenheit, die höflich-freundlich-zuvorkommende Art, den stoischen Glauben an irgend etwas Höheres oder an irgend ein Glück, das auf dich wartet. Diesen monatelangen Dauerregen, den unvergleichlichen Lärm und diese ungerechte Armut muss man erst mal ertragen können ohne dabei verrückt zu werden. Ich mag dieses Kopf-wackeln, was irgendwie „ja“ heisst aber „leck mich am Arsch“ meint, ohne dabei Böses zu wollen. Und auch wenn es vielleicht merkwürdig klingt: Ich fühle mich doch irgendwie „wohl“ hier und werde zum Kind, das enthemmt im Dreck spielt. Ja, Mumbai ist Anarchie und ich entdecke mich dabei, wie ich diesem Gefühl nachgebe. Über den deutschen Stock im Arsch trommelt man hier wahrscheinlich lachend mit den Fäusten auf´s Blech. Bis es schmerzt. Ich bin mit wachen Augen unterwegs und bedanke ich mich bei jedem neuen Reiz, der meine Augen triggert.
Das Wasser tropft mir von der Nase, die Kamera schwimmt im Regen, ich stehe im Elend und nehme trotzdem alles dankbar auf. Wahrscheinlich schafft das nur Mumbai – dieser Bastard einer Stadt. Im wohlfeilen Spruch: „Du liebst es oder du hasst es – da ist nichts dazwischen“ finde ich mich nicht wieder. Mumbai macht etwas mit dir – das ist es. Egal ist sie dir nicht, diese alle Sinne überwältigende Wahnsinnstadt…
Soundtrack:
Mein getreuer Assistent und überaus talentierter Begleiter Maiky hat diese Reise zum Anlass genommen, ebenfalls seine Gedanken und Bilder zu veröffentlichen. Solltet ihr euch nicht entgehen lassen: https://stampsy.com/user/43879